Das Wetter sorgte für Abwechslung. Mal donnerte es, dann prasselten kräftige Schauer auf das Festzeltdach, dann wieder schien die Sonne. Die kontroverse Wetterlage war aber harmlos im Verhältnis zur kontroversen Podiumsdiskussion. ‚Ich kaufe Bio beim Discounter – wo ist das Problem?‘  Dieser Frage stellten sich sechs Diskussionsteilnehmer offen und ehrlich. Wie lassen sich Dumpingpreise mit nachhaltigem Einkauf verbinden? Können Discounter Ideale vertreten? Hilft ein solches Angebot tatsächlich, um die Kunden der Billiganbieter für nachhaltigen Konsum zu sensibilisieren? Schafft das Bioangebot bei Discounter neue faire Märkte für deutsche Biobauern?  Diesen und vielen anderen Fragen gingen die Diskussionsteilnehmer rege nach. Im Mittelpunkt dabei stand die Entscheidung von Bioland, auch über die Discounterkette Lidl zu vermarkten.

„Wir haben eineinhalb, zwei Jahre im Verband diskutiert und sind dann sehr einvernehmlich zu der Einschätzung gekommen, dass wir diesen Schritt gehen sollten“, erklärt Josef Wetzstein, Landesvorsitzender von Bioland. „Die Probleme, die dabei schon angesprochen wurden, denen sehen wir mit offenen Augen entgegen und versuchen sie gemeinsam zu bewältigen.“ 

 

 

Biolandlandwirt Michael Sendl hielt sich nicht zurück, diese Entwicklung eindeutig zu bewerten. „Diesen Traum, die Welt zu verändern“, bezieht sich Sendl auf die ursprünglichen Ziele von Bioland, „hat Bioland spätestens mit der Kooperation mit Lidl komplett begraben.“ In seiner Stellungnahme mahnt er das Versäumnis an, ausreichend mit dem Fachhandel zu kooperieren und so dessen Position am Markt zu stärken. Diesen Vorwurf wies Wetzstein entschieden zurück: „Das geht völlig an der Realität vorbei.“ Stattdessen sei es ein Problem, dass der Anteil an deutscher Ware im Fachhandel zu gering ist. Auch den Strukturwandel machte Wetzstein für die Entwicklung verantwortlich.

Auch Reinhard Gromotka, Mitbegründer von TAGWERK, zeigte eine gewisse Besorgnis. „Bioland wird sich mit Lidl verändern, da bin ich mir sicher, weil Lidl größere Strukturen braucht und in größeren Strukturen denkt“, merkt Gromotka an. „Wir als TAGWERK sind natürlich gefordert, wie wir unsere Linie entsprechend positionieren können. Neue Konzepte müssen her und wir sind aufgerufen, wieder Pioniere zu sein. Das können wir ja, wie die letzten 35 Jahre zeigen“, bekräftigt er seine Haltung und schafft damit den optimistischen Perspektivwechsel.

 

 

Willi Pfaff von VollCorner ist ambivalent. „Bei mir schlagen da schon zwei Herzen in der Brust, das Fachhandelsherz allerdings deutlich lauter. Wir waren immer die Pfadtrampler. Dass regionale Bioware bei Edeka und Rewe verfügbar ist, ist ja abgeguckt. Das haben wir erfunden“, blickt er zurück. „Dass das Biosortiment sich ausweitet, ist auch uns zu verdanken. Ich sehe schon, dass wir mehr Möglichkeiten haben, Bio in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Wir müssen aber den Blick darauf haben und es beobachten.“

„Das Wirtschaftssystem, das hinter dem Billiganbieten steht, ist ja nicht nur bei Lidl wirksam, sondern im gesamten Fachhandel“, so Stefan Illi, Ökoanbau-Coach. „Jetzt ist die Frage: spricht es dafür, dass Bioland die Partnerschaft mit Lidl eingeht? Für mich spricht es vor allem dafür, dass es zwei Richtungen gibt. Zum einen das ‚Hauptsache Bio, egal woher‘ und das partnerschaftlich, fair, regionale, nachvollziehbare Zeugnis.“ Illi sieht in der zweiten Variante eine große Chance für den Fachhandel, sich in dieser Weise noch stärker zu positionieren.

Barbara Scheitz von der Andechser Molkerei griff historisch um gut 3000 Jahre zurück, um Mut zu machen. „Die Phönizier haben das Geld erfunden. Und damit spreche ich den Pioniergeist an, den wir auch heute hier am Obergrashof erleben. Mit diesem Engagement, mit dieser Überzeugung, mit diesen Produkten, mit diesen Werten, steht uns da viel mehr offen.“ Mit ihren weiteren Worten hielt Barbara Scheitz fast schon ein Plädoyer für nachfolgende Generationen. „Die nächste Generation treibt etwas ganz anderes an. Nämlich wie wir diese Welt so verändern, dass wir sie lebenswert erhalten. Unsere Aufgabe muss sein, dass wir mit unseren einmaligen Produkten so viel Wert vermitteln, dass der Naturkostladen ein Pfund in seinem Laden hat.“

Einen wirklichen Konsens fanden die Podiumsteilnehmer nicht. Aber sie trauten sich, ihre Wahrheiten, ihre Perspektiven, ihre Ansichten offen zu kommunizieren. Rund 150 Gäste hörten aufmerksam zu und zogen ihre ganz persönlichen Schlüsse aus den verschiedenen Positionen. Die ließen sie sich gewiss beim Bummeln über das Hoffest gründlich durch den Kopf gehen.

 

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